Spitz auf Knopf – Unruhige Gewässer
Kolumne von Georg Gafron
Die Stimmung im Lande erinnert an einen aufgewühlten See an einem schwülen Hochsommer-Abend, von der etwas Unheilvolles auszugehen scheint. Kommt es zu Wolkenbrüchen mit starken Sturmböen, oder verschlingt der immer höhere Wellengang Boote und Teile des Ufers? Niemand weiß es genau, aber selbst der Ausbruch eines Vulkans wäre nicht überraschend. Es herrschen allgemeine Ratlosigkeit und die bange Frage, wer bringt die noch vor kurzem so friedliche Welt ohne zu große Verwerfungen zurück?
Zu einer solchen Situation gehören auch Merkwürdigkeiten, auf die in geregelten Zeiten gar niemand kommen würde. Eine solche offenbarte die jüngste Studie des Institutes in Allensbach. Danach käme bei einer aktuellen Bundestagswahl das noch jungfräuliche Bündnis der überzeugten Kommunistin Sahra Wagenknecht auf Anhieb auf 7 Prozent der Stimmen, immerhin liegt sie damit aus dem Nichts und ohne Parteiprogramm vor der FDP und ganze 4 Prozent vor ihrer Stammfamilie, den SED-Nachfolgern, „Die Linke“. Nur der vollständigkeitshalber seien die Zustimmungswerte der Mitbewerber erwähnt. Unverändert führt die CDU/CSU mit 32 Prozent, gefolgt von der AFD mit 18 Prozent, den Grünen mit 14 und der FDP mit 6 Prozent.
Das eigentlich Sensationelle aber ist die Zusammensetzung der Wagenknecht-Bewunderer. Denn es ist die schicke und in jeder Hinsicht ansehnliche und eloquente Dame selbst, die die Faszination ihres Bündnisses ausmacht. Erst richtig ins Staunen gerät man bei der Antwort auf die Frage, woher eigentlich die Bündniswähler kommen. Weit vor allen anderen liegen ehemalige Wähler der CDU/CSU, die 25 Prozent der Wagenknecht-Wähler ausmachen, zuvor aber bei der Bundestagswahl 2021 ihre Zweitstimme den Unionsparteien gegeben haben. Mit etwas Abstand folgen mit 19 Prozent eigentliche SPD-Wähler, 15 Prozent ehemalige AFD-Wähler, 14 % kommen von der Mutterpartei Die Linke und schließlich 13 Prozent von den Grünen. Recht wenig mit der neuen linken Flamme kann das Wählerpotential der FDP anfangen – hier sind es nur 7 Prozent, die das Seelenheil des Landes dort suchen.
Im Klartext: Der Verdruss über die Ampelregierung, aber auch die Opposition ist so groß, dass selbst aus der Mitte der Gesellschaft, die über Jahrzehnte als Wählerpotential von CDU/CSU und SPD galt, immer mehr Ausflüge in zum Teil antidemokratische Gefilde suchen. Besonders im Konrad-Adenauer-Haus müssen alle Alarmglocken schellen. Dringt man allerdings tiefer in das demoskopische Bild ein, demonstriert sich hier noch längst nicht eine substantielle Ablehnung der bundesdeutschen Demokratie. 69 Prozent der Wagenknecht-Wähler wollen damit zeigen, dass sie mit der derzeitigen Politik unzufrieden sind und für 59 Prozent gab zusätzlich Sahra Wagenknecht als Person den Ausschlag. Dann aber wird es schon konkreter: 57 Prozent sind der Meinung, dass unter den anderen Parteien das Land den Bach runtergeht. 49 Prozent sind mit der Russland-Politik der Regierung unzufrieden. Dass sich das Wagenknecht-Bündnis stärker für die Probleme der kleinen Leute einsetzt, sagen 38 Prozent, und immerhin 35 Prozent glauben, die neue Partei verstehe die Probleme im Osten am besten. Last but not least, sehen 29 Prozent in der Wagenknecht-Partei die besten Ideen für die Bewältigung der Migrationsproblematik. Das eigentlich Besorgniserregende an diesen Ergebnissen ist die Leichtfertigkeit, mit der Sympathien und damit Stimmen an Parteien vergeben werden, die sich jenseits des antitotalitären Konsenses, der den Markenkern der alten Bundesrepublik ausmachte, positioniert haben. Denn nichts anderes ist die Verharmlosung der aggressiven und völkerrechtswidrigen Vorgehensweise Russlands in der Ukraine. Hier decken sich die Positionen von Wagenknecht und AFD nahezu. Auch ansonsten gibt es in vielen Bereichen Übereinstimmungen. Mit dem Unterschied, dass die AFD in die Schmuddel-Ecke des Rechtsextremismus verbannt wurde, während Wagenknecht in einer Art Linken-Gesinnungsverbund schon vor den eigentlichen Wahlkämpfen zur Talkshow-Königin der öffentlich-rechtlichen Sender avanciert ist. Man kann es nicht oft genug sagen: Ein neuer deutscher Sonderweg in Abgrenzung zu den Werten des Westens, und damit den USA, birgt die Gefahr der Wiederholung überwunden geglaubter Katastrophen.